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Das ẞ – ich bin dafür

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eszett

Gestern wurde bekannt, daß man von nun an das große Eszett, das ẞ, nach den Vorstellungen des „Rechtschreibrates“ verwenden können/dürfen soll. Nun denn. Über diesen Buchstaben wurde in der Typographenszene seit Jahren immer wieder einmal diskutiert, teils mit erheblichem Emotions-Aufwand. Seit Jahren schon gibt es eine Unicode-Stelle für ihn – in den meisten Fonts freilich war und ist er nicht vertreten.

Ich war in diesen Debatten immer gegen das ẞ – schon aus dem kulturkonservativen Reflex heraus, daß mir jedes Herumdoktorn an der deutschen Sprache zutiefst unsympathisch war und ist.

Die Nachricht gestern freilich hat mich bewogen, meinen Standpunkt noch einmal zu überdenken – und am vorläufigen Ende dieses Denkprozesses steht folgendes Ergebnis: Man kann mit der „Legalisierung“ des ẞ sehr gut leben.

Erstens und vor allen Dingen: Die Entscheidung bricht sozusagen eine Lanze für das ß an sich. Das ß steht seit den diversen BRD-Rechtschreibreformen unter Verfolgungsdruck. Es wird viel seltener verwendet als vorher. Einige Verrückte wollen es sogar ganz abschaffen – und denen wird jetzt zumindest das Argument genommen: „Wenn man in Großbuchstaben schreibt, schreibt man ja auch SS!“ Ein Gut der deutschen Schriftkultur wird also sozusagen durch Modernisierung ein bißchen geschützt, und das ist nicht das Schlechteste, was Modernisierung leisten kann.

Zweitens: Wo wird überhaupt in Versalien geschrieben? Schon Überschriften in Großbuchstaben haben etwas Radaubruderhaftes an sich – das ist eigentlich nur etwas für Krawallpostillen. Großbuchstaben finden hingegen unter anderem zu folgenden Zwecken Verwendung: Logos (Firmen, Produkte etc.), Reklame (gerade solche im Schweinebauch-Design), Schilder (Hinweise, Türklingeln etc.), Inschriften, Gedenktafeln, Demonstrations-Transparente usw. usf. – mit anderen Worten im Übergangsbereich von Rechtschreibung, Typographie und Graphikdesign. Und bei derlei ist man wirklich Schlimmeres gewohnt als das ẞ – man denke an die überall notorischen Deppenleerzeichen. Und die Leute, die sich, auf welcher professionellen Ebene auch immer, mit der Gestaltung dieser Dinge beschäftigen, kümmern sich ohnehin einen feuchten Kehricht um die Ansichten des Rechtschreibrates. Reale Macht hat der Rechtschreibrat nur bei der Festlegung dessen, was Schullehrer als Fehler anstreichen müssen und was nicht. Und wann wird schon in der Schule ein Text ganz in Großbuchstaben geschrieben? Richtig, niemals.

Ein ß am Wortanfang gibt es bekanntlich nicht. (Von irgendwelchen Witzbolden, Langweilern und Wichtigtuern in den Sozialen Medien, die jetzt absehbar versuchen werden, welche zu basteln, brauchen wir hier nicht zu reden.) Das ẞ wird also ohnehin nicht häufig verwendet werden.

Das Standarddesign des ẞ, das auch die in diesem Blog verwendeten Schriften Ubuntu und Georgia benutzen, halte ich (anders als ein wichtigtuerischer Feuilletons-Zusammenfasser heute mittag auf mdr Kultur) für gelungen: es ist auch für Leute, die es noch nicht kennen, sofort als großes ß zu erkennen, und kann dennoch nicht mit dem B verwechselt werden. Die schriftlogische Ableitung des ß aus ſ und s wird sogar viel besser deutlich als bei dem Bäuchlein-ß etwa der Georgia hier.

Fazit: Herzlichen Glückwunsch zur Aufenthaltsgenehmigung in der BRD, liebes ẞ! Du wirst Dich gut integrieren. :-)

LANG LEBE MARGOT KÄẞMANN! :-D

Nachtrag: Gna, die hier als Webfont verwendete Variante des Ubuntu-Fonts (die Überschriften…) beherrscht das ẞ noch nicht – ich will mich bei nächster Gelegenheit als typographischer Flüchtlingshelfer betätigen und versuchen, die Sache zu richten.

Klaas auf Amyklai
Kategorie(n): Feuilleton, Sprache, Webdesign
Schlagwörter: , ,
520 Wörter | 2 Kommentare


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